Und wieder gibt es einiges zu lesen. Wir haben für euch eine kleine Kurzgeschichte, die unter dem Titel „Trommeln des Krieges“ von einem Ereignis aus der Zeit vor der Ankunft des Helden auf dem Festland berichtet. Die Geschichte soll euch vor allem einen neuen Charakter vorstellen, der von großer Bedeutung für die Hauptstory sein wird. Trommeln des Krieges BUMM. BUMM. BUMM. Aram wälzte sich auf die anderen Seite seiner Lagerstatt und zog sich die Decke über den Kopf. Es half nichts. Tatsächlich hatte er sogar das Gefühl, das Dröhnen der orkischen Kriegstrommeln wäre nun noch lauter. Seit Tagen hörte er schon nichts anderes mehr als das monotone Hämmern der orkischen Pranken auf den Trollhäuten, die sich über ihre mächtigen Trommeln spannten. Es war Teil ihrer Belagerungstaktik. Über jeder Stadt, die in diesem Krieg gefallen war, hatte zuvor tagelang der Klang der Kriegstrommeln geschwebt. Es ging darum, Stärke zu demonstrieren und den Feind zu zermürben. Gleichzeitig war es wohl auch eine Art Anrufung des kriegerischen Aspekts des großen Geistes, wenn Aram dies richtig verstanden hatte. Doch im Augenblick interessierte ihn das wenig. Den Orks selbst mochte das Trommeln aus unerfindlichen Gründen nichts ausmachen, er jedoch wünschte sich im Moment nichts sehnlicher, als dass sie die Burg endlich eroberten – nur damit dieses fürchterliche Hämmern aufhören und wenigstens für einen Moment Ruhe einkehren würde. Er hörte ein Rascheln, als der Vorhang des Zeltes beiseite geschoben wurde, gefolgt von leisen Schritten. „Meister Moren?“ Aram hob den Kopf. Ein Mann in einer weiten, schwarzen Robe ließ sich gerade auf einem Hocker nieder, dem einzigen Möbelstück im Inneren des Zeltes neben einem wackeligen Tisch. „Du solltest längst schlafen.“ Wenngleich er todmüde war, befand Aram, dass es sein Meister war, der Schlaf benötigte. Seine Stimme klang kraftlos, die ohnehin schon hohlen Wangen waren eingefallen und tiefe Falten zogen sich über die kahle Stirn. „Was ist geschehen?“ „Das selbe wie letzte Nacht und wie in der Nacht davor. Sie starten gleich den nächsten Angriff. Und wir sollten beten, dass sie Erfolg haben. Ich werde sie nicht ewig hinhalten können.“ Aram schwieg. Dann, nach kurzem Zögern, hörte er sich selbst fragen: „Erlaubst du, dass ich hinausgehe und beim Sturm auf die Burg zusehe?“ Ein bitteres Lächeln huschte über die schmalen Lippen des alten Magiers. „Gelüstet es die Jugend so sehr nach dem Anblick von Leid und Tod?“ Unsicher blickte der junge Mann auf das Profil seines Meisters. Er fürchtete, etwas Falsches gesagt zu haben, doch schon hob dieser die Hand und machte damit eine Bewegung, als wolle er eine Fliege verscheuchen. „Nur zu, Junge, geh ruhig. Lass dich nicht vom Geschwätz eines alten Mannes irritieren.“ Aram nickte nur mit halb geöffnetem Mund. Dann griff er rasch nach seiner Robe, streifte sie sich über und schnallte sich den Gürtel um den Bauch, an dem die kleine Tasche hing, in der er seine Runen aufbewahrte. Rasch und ohne einen weiteren Blick auf Moren verließ er das Zelt. Er konnte nicht erklären, weshalb, doch in letzter Zeit fühlte er sich unwohl in der Gegenwart seines Meisters. Dies lag nicht an diesem selbst – im Gegenteil, Moren hatte ihn wie seinen Sohn behandelt und ihm allerlei beigebracht – es war wohl vielmehr seine Hilflosigkeit. Ja, sein Meister, der immer so stark, so unerschütterlich gewirkt hatte, erschien ihm mit einem Male furchtbar alt, ja gebrechlich. Aram wusste, was Moren dieser Tage belastet, und es war der Schmerz darüber, ihm dabei keinen Trost spenden zu können, der ihm seine Gegenwart unerträglich machte. Jäh wurden Arams Gedanken unterbrochen, als er aus dem Zelt trat. Er hatte es nicht für möglich gehalten, doch klangen die Trommeln nun um ein Vielfaches lauter. Aber das war nicht alles. Vor ihm tat sich eine Kulisse auf, die ihn vor Ehrfurcht erstarren ließ und ihm kalte Schauer über den Rücken jagte: Gotha, Hochburg der Paladine, war hell erleuchtet von Hunderten von Fackeln. Am Rande des Hanges, der zur Burg hinaufführte, sammelten sich die Krieger. Aram hatte immer die Kraft, die Stärke bewundert, die von den Orks ausgingen und diese perfektionierte Ruhe, die sie während der Schlachten ausstrahlten. Wenn es eines gab, was dieses Volk konnte, so war es das Kämpfen. Eine Stimme hallte über das Tal, eine Stimme, welche selbst die mächtigen Kriegstrommeln übertönte. Auf dem alten Wachturm, der sich am Rande des Heerlagers erhob, stand Feldherr Varek der Große im Kreise seiner Berater und Elitekrieger und donnerte Befehle in der Sprache der Orks. Arams Blick wanderte zum Himmel empor. Schwarz. Schwarz wie ihr Gott. Nicht ein Stern leuchtete unter der dicken Wolkendecke hervor. Jemand stieß unsanft mit ihm zusammen. „Hey, steh hier nicht im Weg rum, wenn du dich schon nicht nützlich machst, Morra!“ Aram erschrak, als er aufblickte und in die grässliche und wutverzerrte Fratze eines Orks starrte, auf dessen Gesicht der Schein der Fackeln tanzte und sich mit der archaischen Kriegsbemalung zu einem grässlichen Bild vereinigte, wie der junge Magier es höchstens aus seinen Alpträumen kannte. Doch schon wandte der Ork sein Gesicht wieder von ihm ab und rannte weiter, ohne den Menschen noch eines Blickes zu würdigen. Aram erkannte eine mächtige Armbrust in seinen Händen. Mit einem Mal änderte sich der Rhythmus der Trommeln. Aram wusste, dass dies nur eines bedeuten konnte: Der Sturm hatte begonnen. Schon sah er die Krieger den Hang hinaufrennen. Augenblicklich brach ein Hagel aus Pfeilen über sie herein, der sofort durch die Armbrustschützen der Orks erwidert wurde. Die fünf mächtigen Katapulte, die die Orks am Rande der Belagerung aufgestellt hatten, begannen nun ebenfalls das Feuern. Von Pfeilen durchlöcherte brachen die anstürmenden Orks zusammen und rollten den Hang wieder hinab, wobei sie ihre Kameraden mit sich rissen, um schließlich im Dunkel der Böschung zu verschwinden. Doch schon hatten die ersten Angreifer das kleine Dorf am Fuße der Burg erreicht und retteten sich hinter die schützenden Häuserwände. Aram machte sich nichts vor. Auch die heutige Schlacht würden sie verlieren. Bis jetzt war der Krieg für die Orks gut verlaufen. Doch seit dem Fall Monteras hatte sich das Kriegsglück gewendet. Zwar waren die Myrtaner noch immer in der Defensive, doch bissen sich die Orks nun schon seit Monaten an den uneinnehmbaren Festen von Gotha und Faring die Zähne aus, ohne auch nur einen Meter an Boden zu gewinnen. Und ohne ein Wunder würde sich dies nicht ändern. Die Rufe der Orks wurden lauter, als ausfallende Paladine ihnen entgegenstürmten und im Dorf vor der Burg ein wildes Gemetzel entbrannte. Ein Kriegshorn wurde irgendwo in Arams Rücken geblasen und vier Orksöldner stürmten an ihm vorbei auf den Abhang zu. Er wandte sich von der Schlacht ab und in die andere Richtung. Der Kampfeslärm schien mit einem Male anzuschwellen und wurde fast unerträglich. Aram beschleunigte seine Schritte, rannte am Ende fast, und blieb dann abrupt am Rande des Lagers stehen. Hier saßen Menschen an kleinen Lagerfeuern zwischen all den Zelten und Karren, von der tobenden Schlacht scheinbar unberührt. Es waren die Menschen, die jedes Heer in jedem Krieg begleiteten. Marketenderinnen und Wundärzte, Feldköche und Huren. Nein, zu ihnen würde er nicht gehen. Schon glaubte er, ihre lauernden Blicke zu sehen. Schon schien es ihm, als rückten die dunklen Gestalten an den Feuern bei seinem Anblick dichter zusammen. Als die Orks gekommen waren, hatte er in ihnen die Erlösung von der langen Verfolgung gesehen. In Myrtana hatte es für Schwarzmagier nur eines gegeben: den Tod. Ihr Orden war verfolgt worden und Meister Moren und sein Schüler hatten ihr Leben unter tief in die Gesichter gezogenen Kapuzen und in zwielichtigen Spelunken in den ärmsten Vierteln der Städte zugebracht – wenn sie sich überhaupt einmal unter Leute getraut hatten. Den Orks dagegen war egal, welchem Gott die Menschen huldigten, solange sie ihre neuen Herren nur anerkannten. In der Hoffnung auf eine neue goldene Zeit, eine Zeit der Freiheit, hatten Moren und Aram sich dem Heerwurm angeschlossen, der von Trelis gen Norden gezogen war. Sie hatten helfen wollen, den verhassten König zu stürzen, hatten sich mit den neuen Herren gutstellen wollen. Doch mittlerweile war Aram sich nicht mehr sicher, ob das Leben nun so viel besser war. Er mochte nun frei sein, doch für die Menschen war er noch immer ein Ausgestoßener, ein böser Hexer, der auf den Scheiterhaufen gehörte oder den man zumindest fürchtete. Das sah er in ihren Blicken. Aram schüttelte sich. Ihm war plötzlich kalt. Noch immer kam ihm der Lärm der Schlacht grässlich vor. Er konnte ihn kaum ertragen und hätte sich am liebsten so weit wie nur irgend möglich von ihm entfernt. Stattdessen drehte er sich herum und kehrte zu ihrem Zelt zurück. Was hatte ihn überhaupt bewogen, es zu verlassen? War es die Flucht vor der Hilflosigkeit gewesen, die er in Morens Gegenwart verspürte? Er hatte das Zelt schon fast wieder erreicht, als er stockte. Ein halbes Dutzend orkischer Elitekrieger hatte das Zelt umstellt. Zwei von ihnen hielten seinen Meister fest und hatten ihm die Arme schmerzhaft auf den Rücken gedreht. Und der Ork, der da vor dem Zelt stand und den alten Schwarzmagier hasserfüllt anstarrte, war niemand geringerer als… „Varek“, flüsterte Aram. „Ich habe genug, Morra!“, wehte die Stimme des Orks zu Aram herüber. „Viermal hast du dich jetzt geweigert. Ich hätte dir schon beim ersten Mal das Genick brechen sollen! Als du darum batest, uns zu begleiten, hast du versprochen, deine Magie gegen unsere Feinde einzusetzen. Und nun muss ich sehen, dass du nichts als ein ehrloser Lügner bist, wie alle deines Volkes.“ „Das hier ist etwas anderes“, presste der Magier unter Schmerzen hervor. „Was ihr vorhabt, ist Wahnsinn. Ihr könnt ihn nicht kontro…“ Die mächtige Pranke Vareks traf den Schwarzmagier mitten ins Gesicht. Ein unangenehmes Knacken war zu vernehmen und Blut rann aus der mit einem Mal merkwürdig krummen Nase. „Meister!“, brach es aus Aram heraus und er spürte, wie seine Lippen zitterten. Varek wandte nur für einen Moment den Kopf. Für den Bruchteil einer Sekunde starrte Aram in seine kalten Augen. Dann richtete der Kriegsherr seine volle Aufmerksamkeit wieder auf Moren. „Ich werde nicht weiter das Leben guter Krieger opfern, weil ein alter Morra nicht mutig genug ist, sein ganzes Wissen anzuwenden“, knurrte er. „Wir Orks nutzen im Krieg jede Waffe, die wir haben. Das hat uns stark gemacht. So haben wir euch dreckige Morras bis hierher zurückgedrängt.“ Mit einem Mal wurde der Vorhang des Zeltes beiseite geschoben und ein weiterer Ork trat nach draußen, gehüllt in eine schwere graue Robe. „Hast du es gefunden?“, fragte Varek den Schamanen. Dieser nickte bedächtig. „Ja.“ Er reichte dem Kriegsherrn ein dickes Buch, das Aram sofort als das Formelbuch seines Meisters wiedererkannte, aus dem er selbst so viel gelernt hatte. „Hier steht drin, wie wir ihn beschwören.“ Der Kriegsherr nickte zufrieden und ein leichtes Grinsen trat auf sein Gesicht, auf dem das flackernde Licht der Fackeln tanzte. „Damit has du keinen Wert mehr, Morra“, zischte er Moren leise zu, um dann laut an die Eltekrieger gewandt zu befehlen: „Ich will, dass er für seinen Verrat bestraft wird. Und dann hängt seine Leiche irgendwo auf, wo jeder sie sieht. Das soll den übrigen Morras eine Warnung sein!“ Während die Krieger grunzend dem Befehl nachkamen und mit Moren zwischen sich abzogen, machten auch Varek und der Schamane sich auf den Weg. „Komm“, hörte Aram den Kriegsherrn noch sagen. „Jetzt rufen wir diesen Dämon und bereiten dem hier ein Ende.“ Die beiden Krieger führten Meister Moren nun direkt an seinem Schüler vorbei. „Meister!“, flüsterte dieser hilflos. Der Magier hob leicht den Kopf. Noch immer lief Blut aus der gebrochenen Nase und tränkte die alten, spröden Lippen. „Verschwinde“, flüsterte er. „Nimm, was du von meinen Sachen tragen kannst, und dann verschwinde von hier.“ Die Orks zerrten Moren weiter und dann war er fort und Aram war allein. Einige Minuten stand er nur da und blickte seinem Meister, der ihm in den letzten Jahren wie ein Vater gewesen war, nach. Um ihn herum dröhnten die Kriegstrommeln der Orks.